Dr. Matthias Boentert
Dr. Matthias Boentert

Etwa 10-30% aller Kinder sind mindestens einmal im Leben vom Schlafwandeln betroffen. Wie kommt es eigentlich dazu und was passiert dabei im Gehirn? Muss man sich Sorgen machen, wenn es bei einem auftritt? Mir sind so einige Fragen zum Schlafwandeln eingefallen. Um diese beantwortet zu bekommen, habe ich mich an Dr. Matthias Boentert, leitender Oberarzt der Klinik für Schlafmedizin und Neuromuskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Münster, gewandt.

Was heißt/bedeutet Schlafwandeln?

Schlafwandeln ist der umgangssprachliche Begriff für Verhaltensstörungen im Schlaf, d. h. Verhaltensweisen, die während des Schlafes oder aus dem Schlaf heraus auftreten und mehr oder weniger stark von dem abweichen, was wir im Schlaf normalerweise machen: liegen, schlafen, ab und an kurz wach werden, uns regelmäßig hin und her drehen…

Warum schlafwandelt man und wie kommt es zustande?

Die Medizin unterscheidet zwei Arten von Schlafwandeln, die aus unterschiedlichen Schlafstadien heraus auftreten. Schlafstadien wiederum sind bestimmte Zeitabschnitte im Schlaf, die mit einer bestimmten Gesetzmäßigkeit nacheinander auftreten und durch bestimmte Veränderungen im Elektroenzephalogramm (EEG) gekennzeichnet sind. Die Schlafstadien heißen
Einschlafen (N1),
Leichtschlaf (N2),
Tiefschlaf (N3) und
REM-Schlaf bzw. „Traumschlaf“.
Eine Art Schlafwandeln entsteht aus dem REM-Schlaf heraus und heißt darum REM-Schlaf-bezogene Verhaltensstörung. Die andere Art Schlafwandeln tritt aus den Schlafstadien N2 oder N3 heraus auf und wird auch Non-REM-Parasomnie genannt. Parasomnie ist der medizinische Fachausdruck für Schlafwandeln. Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung entsteht meist erst im Erwachsenenalter und ist ursächlich meist mit bestimmten Medikamenten verbunden oder kommt im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen wie Narkolepsie oder Parkinson vor. Die Non-REM-Parasomnie ist das typische „Schlafwandeln“, tritt oft bei Kindern auf und verliert sich meist bis zur Pubertät oder währenddessen. Bei einem Teil der Betroffenen könnten die nächtlichen Verhaltensstörungen aber bis weit ins Erwachsenenalter bestehen bleiben. Die Ursache hierfür ist unbekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Störung der Schlafsteuerung, bei der es dazu kommt, dass man öfters aufwacht – aber nicht vollständig…

Was hat Schlafwandeln mit dem Mond zu tun und was bedeutet Mondsucht?

Nichts, das ist alles unbewiesener Aberglaube.

Wie stehen Alpträume mit dem Schlafwandeln im Zusammenhang?

Bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung treten die schlafwandlerischen Verhaltensweisen ja aus dem Traum heraus auf, dabei ist der betroffene Mensch in bestimmten Grenzen in der Lage, das was er träumt, auch wirklich zu tun. Normalerweise geht das nicht! Alpträume können dann die Verhaltensstörung entsprechend lebhafter und manchmal auch aggressiver machen. Bei der Non-REM-Parasomnie, dem klassischen Schlafwandeln also, spielen (Alp-)Träume eigentlich keine Rolle. Dabei gibt es eine besondere Unterform des Schlafwandelns (den „Nachtschreck“ bzw. Pavor nocturnus), bei dem ziemlich viel herumgeschrien wird und Angstsymptome wie Herzrasen usw. auftreten können. Man kann dann leicht denken, dass dem ein Alptraum vorausgegangen ist, das ist aber meist nicht so.

Was soll man machen, wenn man jemanden beim Schlafwandeln sieht und was sollte man auf keinen Fall machen?

Bei der REM-Schlaf-Verhaltensstörung hilft Wachmachen in der Regel gut, beim klassischen Schlafwandeln streiten sich die Geister: Die einen sagen, dass man Betroffene auf keinen Fall wecken soll, die anderen meinen das genaue Gegenteil. Im Prinzip gilt: ausprobieren. Wenn man es als Bettpartner schafft, den Schlafwandeln schnell wach zu bekommen, ist das wahrscheinlich am besten. Es gibt aber auch Menschen, die kriegt man nicht so leicht wach, so dass Ansprechen und Anfassen die Verhaltensstörung durchaus auch noch schlimmer machen kann.

Was passiert im Gehirn, wenn man schlafwandelt ?

Schwierige Frage. Vereinfacht ausgedrückt, kommt es zu einer Art „geteiltem Zustand“ im Gehirn, bei dem die Regionen, die für die Schlafregulation zuständig sind, noch auf „Schlaf“ gestellt sind, andere Regionen (z. B. die für die Bewegung/Motorik) aber aktiviert werden.

 Hat Schlafwandeln irgendwelche Folgen auf die Psyche?

Kann es haben, wenn der Schlaf dadurch stark gestört ist oder eine erhebliche soziale Belastung daraus entsteht. Stellen Sie sich mal einen schlafwandelnden Erwachsenen vor, der mit kleinen Kindern in einem Haus oder sogar in einem Zimmer schläft.

Was bedeutet Somnambulismus?

 Schlafwandeln, also Non-REM-Parasomnie.

Warum ist Schlafwandeln im Kindesalter üblicher als bei Erwachsenen?

Das Gehirn bzw. die Nervenzellen darin sind insgesamt noch nicht ganz ausgereift, das macht auch die Regulation des Schlafes instabiler bzw. störanfälliger.

Was hilft gegen das Schlafwandeln?

Regelmäßige Schlaf-Wach-Zeiten, genügend Schlaf, Alkohol vermeiden, Aufregung vermeiden, Stressabbau, manchmal auch Medikamente

Warum sollte man „erst“ im erwachsenen Alter zum Psychiater gehen?

Man sollte gar nicht zum Psychiater gehen, weil Schlafwandeln keine psychische, sondern eine neurologische Erkrankung ist. Außerdem muss auch nicht jeder zum Arzt. Das hängt davon ab, was nachts genau passiert, wie oft das ist und wie belastend oder gefährlich.

Kann man es wirklich behandeln?

Ja!

Gibt es Symptome beim Schlafwandeln?

Rufen, Schreien, Schimpfen, Treten, ausfahrende Armbewegungen, Aufstehen, Herumlaufen, Verwirrtsein, manchmal auch richtig komplexe Handlungen. Wichtig ist, dass meist keine Erinnerung an die Ereignisse besteht.

Wenn man alleine lebt, wie kann man herausfinden, ob man nachts schlafwandelt? Gibt es irgendwelche Vorzeichen?

Es kann sein, dass man das dann gar nicht mitbekommt. Indirekte Hinweise können sein, wenn man morgens unerklärliche blaue Flecken hat oder wenn Dinge im Zimmer plötzlich anders angeordnet sind als am Abend zuvor.

Gibt es Sicherungsmaßnahmen und wenn ja welche?

Tür/Balkontür abschließen, scharfe und spitze Gegenstände wegschließen. Man nennt das auch: eine sichere Schlafumgebung schaffen.

Lieber Herr Dr. Boentert, herzlichen Dank für das Interview.