Interview mit dem Künstler Stephan Us
Foto: Marei Feder

Ihr macht eine Schülerzeitung, habt Ihr ein Thema für die Ausgabe?

Das Oberthema ist Medien. Also stellt Ihr dazu auch die Fragen?

Ja, aber auch zu Ihrer Website. Ich hab mir die angeguckt und mich vorbereitet. So ein paar Sachen hab ich nicht ganz verstanden. Ich hab dieses Bild gefunden. Ein Bild mit Schnecken. Worum geht’s da? Komm mal mit. Hier hängt die ganze Schneckenbild-Serie. Das war die erste Arbeit, die ich bewusst zum Thema „Nichts“ gemacht habe. Da fing das ganze Projekt mit an. Was bedeutet denn das Wort Zero?

Interview mit dem Künstler Stephan Us
ZERO

 

 

 

 

 

 

 

Interview mit dem Künstler Stephan Us
ZERO

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Null. Genau. Wenn man von Zero spricht, ist das ein Nullpunkt. Du kennst ja vielleicht auch den Begriff Ground Zero. Was ist das?

Das ist das eingestürzte World Trade Center. Genau. Zero bedeutet immer Nullpunkt und auch Neuanfang. Für mich war das für diesen Zeitpunkt ein Neuanfang in meiner künstlerischen Arbeit. Ich war vorher ziemlich krank. Das war eine Krankheit, die nicht einfach so wieder wegging. Das dauerte lange. Das hat sich sehr auf meine künstlerische Arbeit ausgewirkt, da ich vorher sehr viel Performance gemacht habe. Das heißt, ich war viel auf der Bühne und musste persönlich anwesend sein. Mit dieser Krankheit kam die Frage: Kann ich das noch, geht das noch? Ich bin dann wieder gesund geworden. Dennoch begann da die Auseinandersetzung mit einem ganz neuen Thema. Das war eben ein Nullpunkt. Hier fange ich neu an. Deswegen das Wort Zero. Wie Du siehst, ist das jetzt eine Struktur.Eine Typographie ist auch eine Struktur, das ist ein Code, eine Codierung, die wir alle lesen können. Das wandelt sich langsam über diese lebenden Schnecken, die kriechen dann alle weg über das Chaos, es wird ja ziemlich chaotisch und dann sind sie fast weg, es ist fast nichts mehr da. Nur noch ein paar Spuren. Im Grunde genommen eine Auflösung. Eine Auflösung einer Struktur über das Chaos zum Nichts. Das war so die erste Arbeit, die ich zu dem Thema gemacht habe.

Und wie ist das dann weitergegangen? Dann habe ich dazwischen noch eine kleine Aktion gemacht. Danach kam die Demonstration für Nichts. Das war im Juli 2004. Diese Demo werde ich dieses Jahr wieder machen. Aber das wird die weltweit größte Demo für Nichts werden.

Gab’s überhaupt schon eine Demo für Nichts? Ja, doch doch! Es gibt einige. Es gab in Zürich eine, in Talin eine. Aber die waren alle relativ klein. Häufig von Studenten gemacht. Ich möchte das jetzt bündeln und habe auch schon die Leute kontaktiert, die das damals gemacht haben. Das sie es vielleicht noch mal machen. Also es findet nicht nur in Münster statt, in Münster ist zwar die zentrale Demo aber es finden überall Sateliten statt.

Wie Sateliten? Das sind kleine Sateliten sozusagen. Kleine Demos, die an anderen Orten stattfinden. Wo lebst Du z.B.?

In Wolbeck. Wenn Du jetzt am 17. März keine Zeit hast hier hin zu kommen. Die Versammlung findet hier statt und dann zieht sie durch Münster. Mit Polizeibegleitung übrigens. Da werden alle Straßen gesperrt. Wenn Du also keine Zeit hast, kannst Du das in Wolbeck machen und schickst mir dann ein Foto. Dann weiß ich, hey, da war jemand in Wolbeck, der hat auch für Nichts demonstriert. Oder, wenn das Eure ganze Schule machen würde. Oder die ganze Schule würde hier hin kommen.

Und wenn ich nichts vorhaben? Dann kannst Du hier hin kommen und für Nichts demonstrieren! Ich gebe Euch ein paar Plakate mit. Da könnt Ihr ja ein bisschen Werbung bei Euch an der Schule machen.

Ja, die hängen wir überall auf. Das fänd ich ziemlich cool, wenn da auch einige mit Bannern und Plakaten kommen würden.

Die müssen dann einfach leer sein, oder? Ja, die sind dann einfach leer. Oder mit weißen Blättern, als Flugblätter.

Was begeistert Dich am Nichts? Die Fragen, die damit verbunden sind. Erstens weiß ich nicht, was nichts ist. Da kommt häufig die Antwort, das gibt es nicht. Und dann gibt es das aber doch, weil es ja auch häufig beschrieben wird, auch in wissenschaftlichen Büchern. Was ist denn dieses Nichts eigentlich? Diese Fragen begeistern und beschäftigen mich, weil sie immer mit den Grenzen, mit unseren Grenzen eigentlich spielen.

Das war immer ein bisschen komisch, wenn mich jemand gefragt hat, wo ich heute hinfahre und ich gesagt habe, wir fahren zu jemandem, der macht Nichts! Das ist dann ja eher ein Joke. Wenn Du sagen würdest, der beschäftigt sich mit dem Nichts wäre das wieder was anderes. Aber ich sage das ja auch häufiger, ich mache Nichts.

Das ist ja auch etwas. Ja klar, die Frage ist, kann man überhaupt nichts machen?

Auf ne gewisse Art vielleicht schon. Ist das nicht immer eine Interpretation von Relationen. Von wo aus man das betrachtet. Wenn du vorher z.B. ganz viel gemacht hast und dann einfach nur sitzt. Heißt das dann, dass du nichts machst? Du würdest vielleicht in dem Moment sagen; Och ich mach jetzt gerade einfach mal gar nichts. Weil Du vorher ganz viel gemacht hast. Aber Du machst ja nicht nichts. Sondern, Du sitzt, Du atmest – Du tust etwas. Also geht das wirklich: Nichts zu tun. Und dann auch die ganzen Fragen aus den verwandten Bereichen. Die Assoziationen, die damit zusammen hängen. Stille bezeichnen wir auch als etwas wie, wir hören nichts. Also dieses Nichts kommt eigentlich in allen Systemen vor, in denen wir denken und fühlen. Wenn wir jetzt Stille, das ist ja ein akustisches System, ein Begriff aus der Akustik. Wenn wir von Leere sprechen, was ist das für ein System. Wie stellst Du Dir Leere vor?

Ich weiß es nicht, ein Raum, ein Schrank, ne Tonne… Das sind alles räumliche Systeme. Da denken wir räumlich. Wenn wir sagen, innere Leere, haben wir unseren Kopf vor Augen. Das der leer ist oder unser Herz – irgendeinen Raum stellen wir uns vor, ein räumliches Objekt, das leer ist. Da sprechen wir dann von Leere. Auch wenn wir uns das Universum vorstellen und sagen würden, das ist leer, stellen wir uns auch da einen Raum vor, der zwar unendlich ist, aber wir stellen uns irgendwie doch einen vor.

Was Schwarzes! Ja, z.B.. Also etwas was wir nicht durchblicken können, wo wir die Grenzen nicht sehen. Und trotzdem stellen wir uns einen Raum vor. Und das beschäftig mich oder fasziniert mich am meisten am Nichts. Das sind immer Fragen, wo wir an unsere Grenzen kommen, wo wir etwas nicht mehr verstehen… und das hat wieder was mit dem Nichts verstehen. Also die Begrifflichkeit Nichts…

Ja, nichts verstehen… Ja, das ist etwas, wo wir immer eine Leerstelle haben. Wo wir etwas nicht verstehen. Wo ein blinder Fleck ist, ein weißer Fleck, wohin wir noch nicht vorgedrungen sind. Dafür wird häufig das Wort nichts verwendet. Als Leerstelle. Das ist aber immer etwas, wo wir hin wollen. Wie eine verwunschene Insel, die irgendwo liegt und auf der noch nie jemand war. Da wollen wir dann hin. Diesen Drang haben wir irgendwie immer – wir wollen das, was leer ist füllen. Es gibt aber eben Leerstellen, die man nicht so einfach füllen kann.

Würdest Du sagen, das Du Dir das jetzt zur Lebensaufgabe gemacht hast? Das ist schon ne Lebensaufgabe. Es hört ja nicht auf. Die Fragen, die ich dazu habe hören nicht auf. Und die Projekte, die ich dazu mache. Momentan mache ich das Projekt „steal the pixel“ und da werden eben Fragen zum Thema „Bild“, was dann eben auch Euer Thema wieder betrifft, gestellt. Was ist z.B. Abwesenheit in Bildern oder wie wichtig ist Abwesenheit in Bildern.

Interview mit dem Künstler Stephan Us Auf welche Art Abwesenheit? Hier z.B.: Das ist ein Projekt, da mache ich Fotos von Menschen…

…die sich abwenden…
Ja, sich abwenden aber aufs Meer blicken. Was für eine Assoziation hast Du, wenn Du aufs Meer blickst? Hinten, in den Horizont?

Dann konzentriere ich mich aufs Meer und nicht so auf die anderen Sachen. Ja, und, auch kunstgeschichtlich gesehen, ist das ein romantischer Blick. Weil, hinten am Ende dieses Horizonts, wo wir nicht mehr hinsehen können, da liegt unsere Sehnsucht. Vielleicht unser Glück. Das hat was mit Fernweh, mit Sehnsucht, mit Glücksuche zu tun. Die Menschen sind alle abgewandt. Das ist ein Ausnahmefoto – hier sind jetzt zwei Menschen, zwei Kinder drauf. Normalerweise ist es aber nur ein Mensch, der da schaut. Und du siehst diesen Menschen nicht, kannst den nicht erkennen. Siehst nicht, wer das wirklich ist. Du siehst zwar, ok, das hier sind jetzt vielleicht zwei Mädchen. Vielleicht aber auch nicht – es könnte auch ein Junge sein. Du siehst aber nicht, was sie sehen, weil das auch weg ist, also durch sie verdeckt. Vielleicht sehen sie ja wirklich ihr Boot, ihre Insel, ihr Glück – irgendwas, wo man vielleicht hinwill. Damit spielt das eigentlich. Mit dieser Abwesenheit. Das Glück ist abwesend. Man kann es nicht einfach sehen. Man muss es finden. Es ist abwesend aber irgendwann kommt man vielleicht da hin.

Aber findet man hier ein Meer? Nein, hier nicht. Da fahre ich nach Holland oder auf deutsche Inseln. Aber ich hab die auch schon in Frankreich, in Istanbul, auf Mallorca oder sonst wo gemacht?

Als Ferienbild? Ne, ich arbeite dann da. Ich arbeite nicht nur hier, sondern ich arbeite immer da, wo ich bin.

Und das ist das Projekt steal the pixel? Das ist ein Teil des Projektes.

Ich dachte das wäre ein neues Projekt? Das ist ein neues Projekt. Das gibt es jetzt seit April 2011. Ich nenne das Versuchsanordnungen. Ich starte quasi öffentliche Versuche…

… auch mit der Demonstration für Nichts?! Genau, öffentliche Versuche, um Bilderwelten zu verändern. D.h., mit dieser Demostration verändere ich eben auch Bilderwelten. Wie oft hast Du schon eine Demonstration für Nichts gesehen?

Nie! Genau, und ich glaube das haben ne ganze Menge noch nicht gesehen. Ich glaube, viele werden darüber natürlich auch schmunzeln, werden aber auch irritiert sein, weil das nicht alltäglich ist…

… es ist was Neues! Ja, was Neues. Aber auch das, was ich vorhin schon gesagt habe – Leer will gefüllt werden. Die Leute, die das sehen, das ist sozusagen wie ein Spiegel. Sie projizieren auf einmal ihre Werte in diese leeren Plakate rein. Für was sollen die denn eigentlich demonstrieren. Ihre Werte da hineinprojizieren und dann sagen, ihr müsst da und dafür demonstrieren. Da fängt es dann an, sich zu drehen. Ich drehe die Form der Demonstration um. Ich sage nichts aber dafür sagen alle von außen, die sonst nicht demonstrieren und nichts sagen würden, die sagen dann etwas. Eine Veränderung der Bilderwelt.

Wie kommt man auf so was? Ja, wie kommt man auf so was. Manchmal kommt man darauf, wenn man spült. Das Geschirr spült, ich hab keine Spülmaschine hier. Manchmal kommt man darauf, wenn man etwas intensiv liest oder sich mit einem Thema auseinandersetzt. Ich kann das gar nicht genau sagen, wie man darauf kommt.

Das kommt einfach, oder … ja, bestimmte Situationen, wo auf einmal die Idee kommt. Hey, das könnte was sein oder das ist ‘ne Idee. Da steckt was. Das hat natürlich auch mit einer intensiven Auseinandersetzung vorher zu tun. Und auf einmal denkt man, das ist cool, das ist ein cooles Bild. Dann ist es da und man setzt es um. Dann sucht man die beste Form es umzusetzen.

Du hast ein Projekt an einer Schule in Ahlen gemacht? Ja ich mache momentan zwei Projekte an einer Schule. Mit einer 6. Klasse und einmal mit der Oberstufe, ein 12er Jahrgang. Da geht es auch um Performance, Performance-Unterricht.

Also das, was Du vorher gemacht hast? Weißt Du, was ‘ne Performance ist oder was ‘ne Aktion ist?

Kann ich mir eher was mit Tanzen drunter vorstellen. Ich nenne das eigentlich Performance-Art. Performance kommt ja aus dem Englischen und bedeutet, etwas machen, etwas ausführen. Aus dem technischen Bereich kennt man das auch. High Performance etc. Das etwas eben in hochwertiger Ausführung da ist. Im künstlerischen Bereich bedeutet das eigentlich, dass ein Bild in Handlung umgesetzt wird. Also, kein Bild mehr, das gemalt wird oder fotografiert wird, wie z.B. dieses Bild mit den beiden Kindern am Meer, sondern ein Bild durch Handlung. Wie die Demo z.B. Ich könnte auch ein Bild von der Demo machen, dann wäre das ein Bild aber keine Handlung mehr. Die Dokumentation von der Handlung vielleicht. Meine Kunst ist eher, dass ich Dinge in eine Handlung umsetze. Also, dass etwas passiert und Menschen dieses Bild mitkriegen können, dass es dann aber auch wieder weg ist, dass es eben nicht dauerhaft da ist. Handlungsbilder die verschwinden. Also, wenn die Demo vorübergezogen ist, ist nichts mehr da außer es liegen vielleicht ein paar weiße Flugblätter auf dem Boden. Das sind die Spuren dieser Demo vielleicht. Vielleicht bleibt aber auch nichts übrig. Was bleibt, sind dann vielleicht irgendwelche Fernsehaufnahmen oder Zeitungsartikel und Dokumentationen, wenn Leute das fotografiert haben. Und was vor allem bleibt, und das ist das entscheidende – die Erinnerung. Für die Leute, die es gesehen haben, wird es in der Erinnerung da bleiben.

Und was machen die Schüler? Die unterrichte ich, damit sie z.B. im öffentlichen Raum so was machen können. Wir sind z.B. in Ahlen in die Fußgängerzone gegangen und haben eine Menschenkette durch die ganze Stadt gemacht. Die Leute konnten da nicht mehr durch. Wir haben das einfach gemacht und geschaut, was passiert. Was meinst Du, was sie gemacht haben?

Sich beschwert? Auch.

Außen rumgelaufen? Versucht, ja.

Durchgebrochen? Z.B., ja. Und geredet natürlich. Also gefragt, was soll das eigentlich. Da haben wir gesagt, die Leute laufen immer nur aneinander vorbei, das ist alles so anonym hier, wir wollten einfach mal mit ihnen ins Gespräch kommen. Da haben die Leute gesagt, aha, ja, das ist ja toll. Und dann fingen sie an zu fragen, wo kommt ihr denn her etc. Es fing also ein Gespräch an, was sonst in dieser Fußgängerzone gar nicht vorgekommen wäre. Das ist z.B. eine Form von Aktion. Ein Ding, das man mit ‘ner Gruppe machen kann. Das war ‘ne ganz spontane Idee. Das hatten wir eigentlich nicht geplant. Wir sind einfach nur in die Fußgängerzone gegangen, um mal zu gucken, was geht da eigentlich ab. Wie bewegen sich die Menschen da. Was tun sie da. Und da ist uns dann aufgefallen, dass sie alle einfach nur aneinander vorbei laufen und kaum ein Mensch mit einem anderen redet. Da haben wir uns gedacht, das ist irgendwie komisch und so ist die Aktion dann entstanden. Genau so unterrichte ich das auch. Natürlich gibt es auch Techniken, wie man das verbessern kann. Also man schaut nachher, was war gut, was war nicht konsequent. Nicht konsequent in diesem Fall war z.B., wenn man jemanden durchgelassen hat. Der hat gesagt, ich will da durch und die Schüler haben das dann aufgemacht und haben den durchgelassen, weil Sie unsicher waren, was macht der jetzt, wenn ich sage: Nein. Haut der mir dann eine runter, oder was macht er dann. Natürlich können dann auch Leute sauer werden. Aber das muss man dann einfach aushalten und weiter mit ihnen sprechen. Da arbeite ich dann mit Schülern zusammen.

Ist das dann die gesamte Stufe oder nur eine Klasse, also ein Kunstkurs oder so? Nein, das war jetzt kein Kunstkurs. Das ist aus einer Projektwoche heraus entstanden. Die hatten nach der Woche alle noch Lust weiter zu machen. Mittlerweile ist das auch von der Schule unabhängig. Wir treffen uns so.

Also nicht mehr an der Schule? Doch manchmal auch noch an der Schule aber wenn da die Räumlichkeiten nicht zur Verfügung stehen, treffen wir uns im Bürgerzentrum in Ahlen. Es ist mittlerweile eine autonome Gruppe, die sich zwar über die Schule gebildet hat aber wir müssen das nicht an der Schule machen. Die hatte einfach Lust weiterzumachen und wenn man da Bock drauf hat, dann macht man so was eben einfach. Alle übernehmen dann die Verantwortung dafür, dass die Gruppe bestehen bleibt und das macht die Gruppe dann auch aus.

Dann bedanke ich mich für das Gespräch.

Und hier noch einige Fotos, die Marei während des Interviews im Atelier gemacht hat: